Offener Brief an die Bundeszentrale für politische Bildung wegen missverständlicher Darstellung in der Publikation „Die Piratenpartei als neue Akteurin im Parteiensystem“ 

news :: 2012
von Axel Kistner am 05. März 2012

(Update siehe unten)

In der Publikation „Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 7/2012) - Die Piratenpartei als neue Akteurin im Parteiensystem“ wird im Zusammenhang mit LiquidFeedback behauptet: „Die technologische Realisierung der Idee einer "deliberativenDemokratie" wird insbesondere vorangetrieben durch den Berliner Liquid Democracy e.V. (http://liqd.net), dessen Überlegungen und Vorarbeiten auch für die Adaption der "Liquid-Feedback-Plattform" durch die Piratenpartei gesorgt haben.“ [1]

Wir stellen hierzu fest: Bei der Entwicklung von LiquidFeedback wurde zu keinem Zeitpunkt auf Konzepte des Liquid Democracy e. V. zurückgegriffen. Nach eigenem Bekunden betrachtet der Liquid Democracy e. V. den von Daniel Reichert vertretenen „Direkten Parlamentarismus“ als eine zentrale theoretische Grundlage. [2] [3]

Wir distanzieren uns hiermit von den Ideen des Liquid Democracy e. V.

LiquidFeedback verfolgt nicht das Ziel, "Politikfeldparlamente" auf staatlicher bzw. gesellschaftlicher Ebene zu etablieren. Vielmehr ist das Ziel explizit die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse innerhalb von Parteien und Organisationen und damit die bestehende parlamentarische Demokratie zu stärken. Hierzu nutzt LiquidFeedback die aus den USA stammende Idee der Liquid Democracy (Delegated Voting, Proxy Voting), einen eigens für LiquidFeedback entwickelten Antragsprozess sowie die Präferenzwahl nach Markus Schulze.

LiquidFeedback war immer ein von der Piratenpartei unabhängiges Open Source Projekt des Public Software Group e. V. und wird auch von anderen Organisationen und Unternehmen eingesetzt. Gleichwohl wurde die Entscheidung zur Entwicklung von LiquidFeedback vom konkreten Bedarf der Piratenpartei Deutschland Berlin ausgelöst.

Richtig ist, dass die Piratenpartei Berlin sich zunächst eine Lösung vom Liquid Democracy e. V. versprach. Im CCC-Datengarten am 03.09.2009 stellte sich jedoch heraus, dass es entgegen allen Erwartungen nur Ideen aber keine konkrete Software seitens des Liquid Democracy e. V. gab.

Daraufhin entschieden wir uns zu einer Neukonzeption und Neuentwicklung einer Liquid Democracy Software im Rahmen des Public Software Group e. V. Die Konzepte des Daniel Reichert und des Liquid Democracy e. V. standen uns bis auf die Vortragsfolien aus dem Datengarten [4] nicht zur Verfügung, wir sahen darin aber schon im Ansatz keine sinnvolle Konzeption für die innerparteiliche Demokratie. Der Begriff „Adaption“ ist somit vollkommen irreführend, da weder auf fremde Konzepte noch auf fremde Software zurückgegriffen wurde.

Wir gehen davon aus, dass die Bundeszentrale für politische Bildung als nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern nicht an einer tendenziösen oder missverständlichen Berichterstattung interessiert ist und ihre Autoren gehalten sind, möglichst objektiv zu publizieren.

Aufgefallen ist uns nun aber, dass der Liquid Democracy e. V. im vergangenen Jahr in die Räume des pol-di.net e. V. (politik-digital.de) gezogen ist. [5] [6] [7] Vorsitzender des Liquid Democracy Vereins ist Daniel Reichert [8], Vorsitzender des pol-di.net e. V. der Autor des o. g. Artikels, Professor Christoph Bieber [9]. Professor Christoph Bieber trat auch mehrfach zusammen mit Daniel Reichert bei Veranstaltungen auf. [10] [11] [12]

Uns stellt sich die Frage, ob womöglich diese räumliche und persönliche Nähe des Autors zum Liquid Democracy e. V. und zur Person Daniel Reichert eine objektive Berichterstattung über LiquidFeedback in vorgenannter Publikation beeinträchtigt hat?

Wir bitten die Bundeszentrale für politische Bildung um Richtigstellung der Aussagen zu LiquidFeedback und empfehlen bei der Auswahl ihrer Autoren künftig größere Sorgfalt walten zu lassen.

gez. Der Vorstand
Public Software Group e. V.

[1] http://www.bpb.de/publikationen/85WI0U,2,0,Die_Piratenpartei_als_neue_Akteurin_im_Parteiensystem.html#art2

[2] http://liqd.net/schwerpunkte/theoretische-grundlagen/

[3] http://liqd.net/schwerpunkte/theoretische-grundlagen/direkter-parlamentarismus/

[4] http://wiki.piratenpartei.de/images/5/51/Folien_Liquid_Democracy_Datengarten.pdf

[5] http://freidenker.cc/liquid-democracy-mit-adhocracy/6036/

[6] http://liqd.net/about/unser-buero/

[7] http://politik-digital.de/impressum/

[8] http://liqd.net/about/vorstand/

[9] http://verein.politik-digital.de/uber-uns-2/vorstand/

[10] http://www.wasmitmedien.de/2011/11/17/politische-mitbestimmung-%E2%80%93-top-down-oder-bottom-up/

[11] http://journalistenakademie.blogspot.com/2011/11/mehr-e-demokratie-wagen-1611.html

[12] http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=1389

Update (06.03.2012):

Herr Professor Bieber hat sich inzwischen mit uns in Verbindung gesetzt und bestätigt, dass seine Darstellung in Teilen missverständlich ist. Er hat sich mit der Redaktion der Bundeszentrale für politische Bildung in Verbindung gesetzt, um den Text zu korrigieren.

Es wurde nun folgender geänderte Satz publiziert: "Die technologische Realisierung der Idee einer "deliberativen Demokratie" wird insbesondere vorangetrieben durch die Berliner Vereine Liquid Democracy e.V. (http://liqd.net) und Public Software Group (www.public-software-group.org), deren Überlegungen und Vorarbeiten auch für die Adaption der Liquid Feedback-Plattform durch die Piratenpartei gesorgt haben."

Hierzu halten wir fest:

In dem fraglichen Satz wurde jetzt zwar der Public Software Group e. V. eingefügt und der Rest des Satzes in den Plural gesetzt, das ändert aber nichts daran, dass weiterhin der Eindruck entsteht, Überlegungen oder Vorarbeiten des Liquid Democracy e. V. wären bei der Entwicklung von LiquidFeedback eingeflossen. Dies war niemals der Fall. Die neue Darstellung ist deshalb wieder unrichtig.

Unrichtig ist auch die durch die Einfügung nunmehr neu aufgestellte Unterstellung, der Public Software Group e. V. treibe die technologische Realisierung der Idee einer deliberativen Demokratie voran. Ausschließlicher Vereinszweck des Public Software Group e. V. ist die Förderung und Veröffentlichung von Open Source Software. LiquidFeedback als Projekt des Public Software Group e. V. hatte niemals Bürgerbeteiligung zum Ziel. Vielmehr ist LiquidFeedback ausschließlich für den organisationsinternen Einsatz konzipiert. Auf diesen Sachverhalt hatten wir bereits in unserem Offenen Brief deutlich hingewiesen.

Wir wiederholen hiermit unsere Aufforderung zur Richtigstellung.