Liquid Democracy ist keine Alternative zur parlamentarischen Republik 

news :: 2013
von Andreas Nitsche am 17. April 2013

Liquid Democracy als Organisationsprinzip löst die Grenze zwischen direkter und repräsentativer Demokratie auf und ermöglicht es jedem Teilnehmer, sich im Kontinuum zwischen direkter und repräsentativer Demokratie selbst einzuordnen und diese Entscheidung themenbezogen und im Zeitverlauf zu ändern. Aufgrund transitiver Stimmrechtsübertragung skaliert Liquid Democracy im Gegensatz zur direkten Demokratie.

Praktisch durchführbar ist Liquid Democracy nur mit Computern. Dies schließt geheime Abstimmungen aus. [1]  Der Preis ist daher die Nachvollziehbarkeit der eigenen Entscheidungen, was bei Abgeordneten durchaus gewünscht ist. Liquid Democracy unterscheidet aber eben gerade nicht zwischen Wählern und Repräsentanten. Würde man (wie gelegentlich gefordert) eine  Liquid Democracy-Gesellschaft anstreben, so müsste zunächst jeder Bürger in gleicher Weise abgesichert sein, wie heute ein Abgeordneter. Auch das System der “Checks and Balances” müsste vollkommen neu justiert werden.

Daher kommt Liquid Democracy auf staatlicher Ebene nicht in Betracht. Es wäre vollkommen unverantwortlich auf die freie, gleiche und geheime Wahl als Sicherungsmechanismus der Demokratie zu verzichten. Wir sehen Bestrebungen, Liquid Democracy als Ersatz der repräsentativen Demokratie zu preisen, mit Sorge. Sehr wohl möglich ist natürlich der Einsatz als zusätzlicher Kanal zwischen Wählern und Abgeordneten oder Bürgern und Institutionen. [2]

Die gesellschaftsverändernde Chance der Liquid Democracy liegt im innerparteilichen Einsatz. Wenn sich politisch interessierte Bürger in Parteien freiwillig organisieren, können sie sich selbstbestimmt für die Liquid Democracy als verbindliches innerparteiliches Organisationsprinzip entscheiden. [3] Innerparteilich werden Liquid Democracy Parteien auf geheime Abstimmungen verzichten oder diese bei Bedarf außerhalb ihres Liquid Democracy Systems durchführen müssen. Jeder Versuch, die Geheimheit von Abstimmungen mittels Pseudonym oder Kryptographie zu simulieren, stellt einen Angriff auf die Geheimheit und die Vertrauenswürdigkeit dar. [4]

Liquid Democracy Parteien könnten eine große Attraktivität für politisch Interessierte besitzen und im Idealfall große Teile der Bevölkerung an sich binden. Diese Parteien werden im Wettbewerb mit Parteien stehen, die sich in anderer Weise organisieren. Die Bürger können sich zwischen den Alternativen in geheimer (!) Wahl entscheiden.

[1] http://liquidfeedback.org/2011/09/15/ueberprufbarkeit-demokratischer-prozesse-teil-2/
[2] http://liquidfeedback.org/2012/05/02/burgerbeteiligung-mit-liquidfeedback/
[3] http://liquidlabs.org/post/44446770290/es-ist-soweit-der-erste-satzungsentwurf
[4] http://blog.fefe.de/?ts=b23f68fa


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Update


Die englische Fassung [5] dieses Artikels erschien am 07.10.2014
in “The Liquid Democracy Journal on electronic participation, collective moderation, and voting systems, Issue 2” (2014-10-07). ISSN 2198-9532. Published by Interaktive Demokratie e. V.

[5] Liquid Democracy Provides No Alternative to the Republic